Von Wolf Stegemann
Viele ehemalige „Lebensborn-Kinder“ schämen sich auch heute noch, weil sie denken, Lebensborn-Heime waren bessere Bordelle für SS-Leute oder „Begattungsheime“ und Zuchtanstalten. Das waren diese Heime nicht. Sie waren ein Projekt, das ursprünglich von Heinrich Himmler erdacht worden war, um dem „Dritten Reich“ Kinder zuzuführen. Der Lebensborn e. V. war im nationalsozialistischen Reich ein von der SS getragener, staatlich geförderter Verein. SS-Reichsführer Heinrich Himmler war Vereins-Präsident. Ziel von Lebensborn war es, auf der Grundlage der NS-Rassenhygiene und Gesundheitsideologie die Erhöhung der Geburtenrate „arischer“ Kinder auch aus außerehelichen Beziehungen herbeizuführen. Dies sollte durch anonyme Entbindungen und Vermittlung der Kinder zur Adoption – bevorzugt an Familien von SS-Angehörigen – erreicht werden. So wurden 13 der 98 vom Lidice-Massaker betroffenen Kinder für den Lebensborn selektiert, während die anderen ins Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) deportiert und dort durch Gas ermordet wurden.

Das Gebäude aus der Vorkriegszeit auf dem Bocksberg-Hügel zweichen Ansbach-Mitte und dem Ortsteil Schalkhausen war ein Jugendheim und ab 1944 ein SS-Lebensborn-Kinderheim. Heute ist es das Hotel Grünwald
Heime „Franken I und II“ in Schalkhausen im Kreis Ansbac
Die Heime „Franken I und II“ in Ansbach-Schalkhausen hatten eine wechselvolle Geschichte, bevor sie der Verein Lebensborn im Juli 1944 als Ausweichheime in Beschlag nahm. Es handelte sich bei diesen Heimen zum einen um eine Heil- und Pflegeanstalt, zum anderen um ein Walderholungsheim. Ab 1928 war auf dem Blocksberg bei Schalkhausen ein Walderholungsheim, für „blutarme und erholungsbedürftige junge Mädchen, Frauen und besonders Kinder beiderlei Geschlechts im Alter von 4-14 Jahren“ betrieben worden. Nach dessen Schließung kaufte die Landesversicherungsanstalt Ober- und Mittelfranken 1938 die Einrichtung und führte sie als Jugendübungslager beziehungsweise Jugendgesundheitsheim für „erbgesunde“ männliche Jugendliche weiter, die hier eine paramilitärische Ausbildung im Rahmen der Hitlerjugend erhielten.
Nachdem der Zweite Weltkrieg zunehmend auf das Deutsche Reich übergriff, entschied der Lebensborn, hier Ausweichkinderheime für von Bomben bedrohte Gebiete einzurichten. Am 1. Juni 1944 stellte die Lebensborn-Bauabteilung beim Reichsministerium Speer den entsprechenden Antrag:
„Betr.: Ausnahme vom Bauverbot für Ausweich-Kinderheime für luftgefährdete Gebiete des Reichsführers SS, Persönlicher Stab, Amt Lebensborn. – Zum obigen Betreff stelle ich den Antrag auf Ausnahme vom Bauverbot für Lebensborn-Kinderheime. 2 Bauten in der Heil- und Pflegeanstalt Ansbach und 1 Bau am Bocksberg bei Schalkhausen. Bei den vorzunehmenden Arbeiten handelt es sich ausschließlich um Malerarbeiten, welche dadurch bedingt sind, dass die Bauten seit Jahren in Betrieb und nicht aufgefrischt wurden. Außer den Anstreicherarbeiten werden einige neue Klosetts und Kinderbadewannen aufgestellt. Die sanitären Gegenstände werden von unserem Lager zur Verfügung gestellt, desgleichen die Anstrichmittel. Die Renovierungsarbeiten werden mit eigenen Arbeitskräften ausgeführt.“
Die Heime „Franken I und II“ hatten dann vorwiegend Kinder aus den besetzten Gebieten aufzunehmen, die von den Deutschen vor den vorrückenden Truppen der Alliierten ins Reich gebracht, dann aber in der Regel nach kurzem Aufenthalt nach Steinhöring (bei München) weitergeleitet wurden. Besonders aus dem Osten kamen Kinder. So hatte der Leiter der Fernschreibstelle des Ansbacher Regierungspräsidenten dem Leiter des Schalkhausener Heims avisiert: „Von Oranienburg kommend, werden in den nächsten Tagen 12 Kinder und 2 Pflegerinnen dort eintreffen. Als Reiseziel habe ich Schalkhausen bei Ansbach angegeben. Ich bitte dafür zu sorgen, dass der Transport richtig weitergeleitet und im Heim „Franken I“ die Aufnahme vorbereitet wird.“
Aus der „Heil- und Pflegeanstalt Ansbach“ wurden im Jahre 1940 im Rahmen der Euthansie-Tötungsaktion T4 mindestens 500 Patienten in die als psychiatrische Anstalten getarnten Mordanstalten Sonnenstein und Hartheim verschleppt und dort vergast. In der Ansbacher Anstalt selbst wurden in einer „Kinderfachabteilung“ etwa 50 behinderte Kinder mit dem Präparat Luminal zu Tode gespritzt. Seit 1988 erinnert im Bezirkskrankenhaus Feuchtwangerstraße 38 eine Gedenktafel an diese Todesopfer.
Haus „Hochland“ in Steinhöring: erstes Lebensborn-Heim in Deutschland
Finanziert wurde die Organisation Lebensborn durch Zwangsbeiträge der SS-Angehörigen. Kinderlose hatten die höchste Abgabe zu entrichten, ab vier Kindern (ehelich oder unehelich) endete die Beitragspflicht. Diese Maßnahme sollte SS-Angehörige anregen, ihren „völkischen Verpflichtungen“ bezüglich Nachwuchsförderung nachzukommen. Lebensborn eröffnete am 15. August 1936 sein erstes Heim „Hochland“ in Steinhöring (Oberbayern). Das Heim verfügte anfangs über 30 Betten für Mütter und 55 für Kinder. Bis 1940 verdoppelte sich die Bettenzahl. Geschäftsführer des Lebensborn e. V. war zunächst SS-Sturmbannführer Guntram Pflaum und ab dem 15. Mai 1940 bis Kriegsende SS-Standartenführer Max Sollmann; ärztlicher Leiter war von Anfang an SS-Oberführer Dr. med. Gregor Ebner.
Eigene Standesämter sorgten für Anonymität der außerehelichen Geburten
Frauen, die sich um Aufnahme bewarben, sollten „in rassischer und erbbiologischer Hinsicht alle Bedingungen erfüllen, die in der Schutzstaffel allgemein gelten“. Entsprechend mussten die Frauen die gleichen Anforderungen erfüllen wie jeder SS-Bewerber bei der Aufnahme in die SS und bei der Heirat. Das Rasse- und Siedlungshauptamt erteilte Heiratsgenehmigungen. Im Laufe des Krieges wurden die Aufnahmekriterien reduziert. Als SS-eigene Organisation konnte der Lebensborn Entbindungen geheim halten. Eigene Standesämter und polizeiliche Meldeämter in den Lebensborn-Heimen durften eine Geburt nicht an die Heimatgemeinde der ledigen Mutter weitermelden.
Nationalsozialistische Lebensborn-„Taufe“ (1936)
War die Aufnahme bewilligt, konnte die Frau die Zeit der Schwangerschaft, auf Wunsch auch weit entfernt vom Heimatort, bis einige Wochen nach der Geburt des Kindes in einem Heim des „Lebensborn e. V.“ zubringen. Bei ledigen Müttern übernahm der „Lebensborn e. V.“ die Vormundschaft. Die Neugeborenen wurden in einem eigenen Zeremoniell mit einer Mischung aus pseudochristlichen, nationalsozialistischen und germanischen Riten unter Auflegung eines silbernen SS-Dolches unter der Hakenkreuzfahne „getauft“. Als Geschenk erhielten sie einen im KZ Dachau gefertigten Kerzenleuchter.
Heime in Deutschland in den Grenzen von 1937
„Pommern“ in Bad Polzin, heute in Polen (1938-1945). – „Hochland“ in Steinhöring bei Ebersberg (1936-1945). – „Harz“ in Wernigerode (1937) . – „Kurmark“ in Klosterheide (1937). – „Friesland“ auf dem Gut Hohehorst in Löhnhorst (heute Schwanwede im Landkreis Osterholz (1937-1941). – Kinderheim „Taunus“ in Wiesbaden (1939-1945). – „Kriegsmütterheim“ in Stettin (heute Polen, 1940). – Kinderheim „Sonnenwiese“ in Kohren-Salis bei Leipzig (1942). – „Schwarzwald“ in Nordrach/Baden (1942). – Kinderheime „Franken I“ auf dem Bocksberg in Ansbach/Mfr. und „Franken II“ in der Heil- und Pflegeanstalt Ansbach (1944). – Villa der Familie Mann in München, Poschinger Straße (Zentrale des „Lebensborn“ von 1937 bis 1938). Heime gab es auch im heutigen Österreich (damals Ostmark) und in den besetzten Ländern Polen, Luxemburg, Belgien, Frankreich, den Niederlanden und die meisten (9) in Norwegen.
In Steinhöring, dem ersten Lebensborn-Heim, endete auch das Projekt Lebensborn. Als die amerikanischen Truppen anrückten, verbrannten die Angestellten die Originalpapiere und ließen die aus allen Heimen hierher evakuierten Kinder zurück. Bei vielen Kindern konnte die Identität nicht geklärt werden.
Prozess gegen das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt und Lebensborn
Im Nürnberger Justizgebäude wurde vor einem US-Militärgericht im Rahmen des so genannten RuSHA-Prozesses (der 8. Nachfolgeprozess) vom 1. Juli 1947 bis 10. März 1948 gegen 14 Beschuldigte verschiedener SS-Hauptämter verhandelt, darunter auch gegen vier ehemalige führende Funktionäre des Lebensborn e. V. Mit auf der Anklagebank saß der Höhere SS- und Polizeiführer Richard Hildebrandt, der und dessen Familie den Heimatwohnsitz in Bad Windsheim hatten. Hildebrandt wurde als zeitweiliger Leiter des Rasse- und Siedlungshauptamtes zu 15 Jahren Gefängnis und zur Auslieferung an Polen verurteilt. Dort wurde ihm der Prozess u. a. wegen Raub von polnischen Kindern und Zuführung dieser als „germanisiert“ geltenden Kinder in die Heime von Lebensborn. Er wurde 1951 gehängt. In den Anklagepunkten, die sich auf ihre Tätigkeit im Lebensborn begründeten, wurden alle Angeklagten freigesprochen. Ihre aktive Rolle bei der Verschleppung und Zwangsadoptionen von etwa 250 osteuropäischen Kindern, ebenso wie ihre Beteiligung an der Tötung behinderter Kinder wurde erst später bekannt. In der Urteilsbegründung hieß es unter anderem:
„Aus dem Beweismaterial geht klar hervor, daß der Verein Lebensborn, der bereits lange vor dem Krieg bestand, eine Wohlfahrtseinrichtung und in erster Linie ein Entbindungsheim war. Von Anfang an galt seine Fürsorge den Müttern, den verheirateten sowohl wie den unverheirateten, sowie den ehelichen und unehelichen Kindern. Der Anklagevertretung ist es nicht gelungen, mit der erforderlichen Gewißheit die Teilnahme des Lebensborn und der mit ihm in Verbindung stehenden Angeklagten an dem von den Nationalsozialisten durchgeführten Programm der Entführung zu beweisen […]. Der Lebensborn hat im Allgemeinen keine ausländischen Kinder ausgewählt und überprüft. In allen Fällen, in denen ausländische Kinder von anderen Organisationen nach einer Auswahl und Überprüfung an den Lebensborn überstellt worden waren, wurden die Kinder bestens versorgt und niemals in irgendeiner Weise schlecht behandelt. Aus dem Beweismaterial geht klar hervor, daß der Lebensborn unter den zahlreichen Organisationen in Deutschland, die sich mit ausländischen nach Deutschland verbrachten Kindern befassten, die einzige Stelle war, die alles tat, was in ihrer Macht stand, um den Kindern eine angemessene Fürsorge zuteil werden zu lassen und die rechtlichen Interessen der unter seine Obhut gestellten Kinder zu wahren.“
Wahrnehmung in der Öffentlichkeit vor und nach 1945
Da die deutschen Lebensborn-Heime streng abgeschottet waren, entstanden bereits in der NS-Zeit Gerüchte über den Verein Lebensborn als Ort des Lasters, über Paarungszwang und Pornographie. In der Nachkriegszeit wurden in Büchern und einigen Filmen (u. a. „Lebensborn“, BRD 1961, „Pramen Života/Der Lebensborn“, Tschechien 2000) die Gerüchte von den „Zuchtfarmen der SS“ weiter tradiert, wonach sich „fanatische BDM-Mädchen“ von „reinrassigen SS-Zuchtbullen“ hätten begatten lassen, um „reinrassigen“ Nachwuchs zu zeugen. Zwar erwiesen sich die Gerüchte, die Lebensborn-Heime seien SS-Bordelle gewesen, als haltlos, nicht aber die Tatsache, dass dort ledige Mütter Aufnahme fanden, die „den Zuchtkriterien der SS entsprachen“ und meist ein Kind von einem SS-Mann erwarteten.
Selbsthilfegruppen der Kriegs- und Lebensborn-Kinder
Viele Kinder deutscher Soldaten in besetzen Gebieten sowie die Kinder aus Lebensborn-Heimen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in den befreiten Staaten gemieden oder im Unklaren über ihre Herkunft gelassen. Auch in Deutschland wurden solche Informationen über Lebensborn-Kinder verschleiert. Die Kindergeneration hat deshalb Selbsthilfegruppen zur Aufklärung ihres Schicksals in Norwegen, Dänemark und Deutschland gebildet. Im November 2006 trafen sich mehrere Lebensborn-Kinder öffentlich in Wernigerode, um Aufklärung zu leisten und betroffenen Lebensborn-Kindern bei der Suche nach ihren Ursprüngen zu helfen. Erhalten gebliebene Akten und Dokumente des Lebensborn werden vom Internationalen Suchdienst und vom Bundesarchiv verwaltet. Der Verein „Kriegskind“ veröffentlicht auch Suchbitten von Lebensborn-Kindern.
7 Responses to SS-Verein Lebensborn: Mütter mussten „den Zuchtkriterien der SS entsprechen“ – In Ansbach gab es zwei Kinderheime