Rothenburger Hitlerjungs mussten 1945 in die „Glocke“ zur Musterung: Einberufung zum HJ-Streifendienst der Waffen-SS und Üben mit der Panzerfaust

Ärmelband des HJ-Streifendienstes

Ärmelband des HJ-Streifendienstes

W. St. – Zur Hitlerjugend gehörten verschiedene „Dienste“, zu denen jedes Mitglied verpflichtet werden konnte. Es gab u. a. den allgemeinen HJ-Dienst, ab 1935 den Wehr-, Arbeits- und Streifendienst (SRD) sowie in der Kriegszeit auch den „Jugenddienst“. Der Streifendienst der Hitlerjugend (SRD) wurde schon 1934 als eine Art „Jugendpolizei“ eingeführt. Er kontrollierte das Verhalten Jugendlicher in der Öffentlichkeit und die Einhaltung von Jugendschutzbestimmungen in der Freizeit, außerdem sollten feindliche Gruppenbildungen aufgespürt werden. Der Streifendienst war das Organ zur Überwachung sämtlicher Jugendlicher im Alter von 10 bis 18 Jahren, die Angehörigen der Hitlerjugend selbst mit eingeschlossen. Bei der Durchführung von Kontrollen maßten sich HJ-Angehörige polizeiliche Befugnisse an, die ihnen allerdings nicht zustanden.

SS-Ärzte untersuchten den HJ-Nachwuchs der SS

Durch den Streifendienst war die Hitlerjugend eine maßgebliche Institution sozialer Kontrolle, die die zahlreichen aufgenommenen Erkenntnisse ohne Überprüfung an die Gestapo weitergab. Im Lauf weiterer Ermittlungen erwies sich oftmals ihre Übertriebenheit, oftmals kam es aber auch zur Verfolgung. Der Dorstener Rudolf Markert erinnert sich an seine Jugendzeit, in der er zum Streifendienst in der Hitlerjugend – und somit der SS untergeordnet war – herangezogen wurde.

Ausriss aus der Zeitung 1935

Ausriss aus der Zeitung 1935

„Der Krieg brauchte Soldaten als neues Kanonenfutter. Eines Morgens erreichte uns ein Musterungsbefehl. Achtzehn Hitler­jungen hatten sich zwei Tage später früh um sieben Uhr zur Musterung in den Gasthof ,Zur Glocke’ einzufinden. Meine Schulkameraden und ich waren gerade mal zwischen 14 und 15 Jahre alt. Es war Winter. Nackt und schlotternd mussten wir allesamt in einer Reihe im unbeheizten ,Glocken’-Saal antreten. Wie beim Pferdekauf schauten drei Ärzte jedem in sein ,Maul’. Die Vorhaut wurde geprüft und in schamverletzender Weise beschäftigten sich die Herren auch hinten. Der Bezirks­arzt, ein SS-Arzt und ein Heeresarzt prüften alles sehr einge­hend. Nach absolvierten Turnübungen hörten sie uns ab und testeten die Sehfähigkeit. Jeder von uns Schülern bekam nun ein Papier mit Stempel, das uns als Angehörige der SRD (Streifen­dienstschar) auswies. Wir waren in einer Heeresvorstufe der Waffen-SS gelandet! Widerspruch wurde nicht geduldet.

Vormittags mussten wir zur Schule. Von Hausaufgaben waren wir nicht befreit. Jeden Nachmittag hatten wir im Amt der Kreis­leitung von zwei bis sieben Uhr Dienst zu verrichten. Mit der Panzerfaust mussten wir hantieren. Im Nahkampf wurden wir geübt. Einberufungsbefehle mussten wir in so mancher Nacht den Volkssturmleuten zustellen. Zusammen mit Heeressoldaten waren wir abkommandiert, um gefangene Engländer oder Ame­rikaner zu bewachen.

Wir sollten in ein Ausbildungslager eingezogen werden. Die Kriegsereignisse schafften jedoch täglich andere Tatsachen. Durch die Bombardierung der Eisenbahnlinie war keine Fortbe­wegung mehr möglich und das Ausbildungslager blieb uns er­spart. – Wir ahnten alle das Ende. Je näher aber das Finale kam, desto gefährlicher entwickelte sich die Situation für den Einzelnen. Ein falsches Wort zur falschen Person gesagt konnte den Tod bedeuten.“

Streifendienst kontrolliert (Foto aus Völkischem Beobachter; Stadtmuseum Köln)

Streifendienst kontrolliert (Foto aus Völkischem Beobachter; Stadtmuseum Köln)

Enge Zusammenarbeit mit dem SS-Streifendienst und der Sicherheitspolizei

Zwischen der Gründung 1935 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs gehörten dem des Streifendienstes rund 50.000 Hitlerjungs an. Äußeres Kennzeichen war ein schwarzes Ärmelband mit der gelben Aufschrift „HJ-Streifendienst“. Im August 1939 wurde die Gründung eines eigenständigen BDM-Streifendienstes angeordnet, der die Aufgaben des HJ-Streifendienstes im BDM übernehmen und damit den durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu erwartenden Personalverlust im HJ-Streifendienst auffangen sollte.

Zu den Aufgaben des HJ-Streifendienstes gehörten die Überwachung der inneren Disziplin in der Jugendorganisation und die Zusammenarbeit mit den örtlichen Polizeibehörden. Seit dem Herbst 1935 arbeitete der HJ-Streifendienst eng mit dem SS-Streifendienst zusammen. Ab 1936 kontrollierte er alle Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen zehn und achtzehn Jahren. Am 1. Juni 1938 wurden die Aufgaben des Jugendverbandes auch auf die Überwachung bündischer Jugendorganisationen ausgedehnt.

NS-Propaganda-Plakat Hitlerjugend in die SS

NS-Propaganda-Plakat Hitlerjugend in die SS

HJ-Streifendienst galt als elitärer Nachwuchs für alle Verbände der SS

Da der HJ-Streifendienst eine SS-ähnliche Struktur und ein ebenso elitäres Selbstbewusstsein besaß, wurde in der obersten Jugend- und SS-Führung 1938 beschlossen, dass aus den Reihen des Streifendienstes vorzugsweise der Nachwuchs der Gesamt-SS zu rekrutieren sei. Zur Aufnahmeuntersuchung für den Streifendienst, die nach den Grundsätzen für die rassische Auswahl der SS geschah, wurden die zuständigen SS-Führer und SS-Ärzte hinzugezogen. Der Angehörige des Streifendienstes sollte nach seiner aktiven Zeit in der HJ dann der Allgemeinen SS und den kasernierten SS-Verbänden (SS-Verfügungstruppe und SS-Totenkopfverbände) sowie den SS-Junkerschulen beitreten. Seit diesem Zeitpunkt arbeitete der Streifendienst eng mit der SS-Sicherheitspolizei zusammen. Die Einsätze der HJ-Organisation wurden nun den Dienststellen der Sicherheits-Polizei (SiPo) zugeordnet und von diesen kontrolliert. In einem Bericht von 1937 wurden die Aufgaben folgendermaßen zusammengefasst:

„Der HJ-Streifendienst überwacht das Auftreten der gesamten, nach dem Staatsjugendgesetz in der HJ zusammengeschlossenen deutschen Jugend in Bezug auf allgemeines Verhalten, Uniform, Besuch von Lokalen, Kontrolle der HJ-Heime auf Sauberkeit und Ordnung, Überwachung des Jugendwanderns und der Jugendherbergen, Ordner- und Wachdienst bei Großveranstaltungen, Zeltlagerpolizei, Transportbegleitung, Fahndung nach Vermissten, Untersuchung und Ermittlung bei Dienstvergehen und strafbaren Handlungen. Zu seinem Aufgabengebiet gehört auch weiter Beratung und Hilfe für die wandernde Jugend, Bahnhofsdienst, Schutz der Jugend vor verbrecherischen Elementen, Bekämpfung der Jugendkriminalität, Schutz des Volksvermögens vor Schädigung durch HJ-Fahrtengruppen usw.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der HJ-Streifendienst als Teil der Hitlerjugend am 10. Oktober 1945 mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 2 als verbrecherische Nachwuchsorganisation der SS verboten. Seine Angehörigen waren im Rahmen der Entnazifizierung nach Prüfung als Hauptschuldige oder Belastete anzuklagen.

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Quellen: Rudolf Markiert „Und wenn’s mer noch so lumberd gett! Leben und Erlebnisse eines Rothenburgers zwischen 1930 und 2005“, Selbstverlag Rothenburg 2005. – Armin Nolden: Der Streifendienst der Hitler-Jugend (HJ) und die „Überwachung der Jugend. 1934 bis 1945. Forschungsprobleme und Fragestellung“ in: „Durchschnittstäter. Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus“, Bd. 16. Assoziation – Schwarze Risse – Rote Straße, S. 13-51, Berlin 2000. – Arno Klönne: „Jugend im Dritten Reich. Die Hitler-Jugend und ihre Gegner“, Piper, München 1995. – Werner Klose: Generation im Gleichschritt. Ein Dokumentarbericht. Stalling, Oldenburg 1964.

 

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