Martin Weigels Stadtführer bejubelte in der „umgearbeiteten“ Auflage nach 1933 den Wiederaufstieg von Rothenburg durch Hitlers Nationalsozialismus

Links das Heft vor, rechts das nach der Machtergreifung Hitlers mit den Textveränderungen

Links das Heft vor, rechts das nach der Machtergreifung Hitlers mit den Textveränderungen

Von Wolf Stegemann

Äußerlich ist den beiden  Stadtführer-Heften eine Unterschiedlichkeit nicht anzusehen. Das eine Heft ist, wie im Innentitel vermerkt, die „27. und 28. Auflage. Mit 2 Plänen und zahlreichen Ansichten“. Im anderen Heft steht „29. und 30. umgearbeitete Auflage. Mit 2 Plänen und zahlreichen Ansichten“. Das Wörtchen „umgearbeitet“ weist darauf hin, was den Leser erwartet, wenn er im Heft weiterblättert. Da steht nämlich auf Seite 18 eine der textlichen Veränderungen als Zusatz gegenüber der vorherigen Auflage: Der Absatz römisch XII ist mit „Wiederaufstieg“ betitelt. Das macht aber nur dann Sinn, wenn der vorhergehende Absatz unter römisch XI als „Niedergang“ bezeichnet wurde. Ohne es näher zu begründen, ist in diesem den „Wiederaufstieg“ vorbereitenden Absatz vom „politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zerfall“ der Stadt die Rede, den auch „alle Bemühungen hervorragender Männer, Pflege der Musik und Gelehrsamkeit, genaueste Polizeiverordnungen“ nicht aufhalten konnten. Doch dann kam er, Hitler, und die Rothenburger konnten wieder aufatmen:  

„XII. Wiederaufstieg. In 70-jährigem Schlaf träumte die alte Reichsstadt von Vergangenheit und Zukunft; pflegte ihre Geschichte, trieb auch 1848 wilde deutsche Politik. Der deutsche Gedanke  blieb in ihr lebendig, bis sie 1871 frohlockend das Bismarcksche Reich begrüßen durfte. Tatkräftig erwachte sie nun zu neuem wirtschaftlichen und geistigem Leben . Die Einordnung ihrer altertümlichen Schönheit machte sie zur viel besuchten Fremdenstadt; den Zusammenhang mit der Vergangenheit hielt besonders das jährlich Festspiel: Der Meistertrunk aufrecht.

Aber auch die üblen Auswirkungen des Marxismus und der liberalistischen Anschauungen musste die an Zahl, aber nicht an Geschlossenheit zunehmende Stadt erfahren. Durch die Jahre des Weltkrieges, in dem sie 255 Söhne verlor, leitete sie die starke und weise Hand ihres Bürgermeisters Ludwig Siebert. Im gleichen Jahr 1933, da dieser nach der nationalsozialistischen Machtergreifung die Regierung Bayerns übernahm, erhob sich auch Rothenburg aus den Erschütterungen der Systemzeit und das Hakenkreuzbanner auf ihren Türmen verheißt der urdeutschen Stadt soziale Einigkeit und Segen im Reiche Adolf Hitlers.“

Pfarrer Dr. Martin Weigel trat 1925 in die NSDAP ein

Der dies schrieb und Herausgeber der hier beschriebenen Stadtführer-Hefte war, war der frühere Stadtpfarrer in Rothenburg, Dr. Martin Weigel, ein bekannter und verdienter Historiker. Allerdings verbog der schon frühe Hitler-Parteigänger auch die Geschichte, wenn es um den Nationalsozialismus ging. Weigel wechselte 1921 nach Nürnberg, trat dort 1925 in die NSDAP ein, weihte 1926 in der Kirche St. Lorenz Hakenkreuzfahnen und SA-Standarten und reiste durch Stadt und Land, um für die Partei und Adolf Hitler zu werben. In einem Rückblick titelten die „Nürnberger Nachrichten“ am 1. August 2002 den Ex-Rothenburger als „Erz-Nazi“ (siehe „Pfarrer Martin Weigel: In Rothenburg verdienter Heimatforscher, in Nürnberg Diener der Nazis …“ in dieser Online-Dokumentation).

Schäfertanz auf dem Marktplatz 1932

Schäfertanz auf dem Marktplatz 1932

Schäfertanz-Beschreibung: Antijudaismus befeuerte den Antisemitismus

Die angebliche Entstehungsgeschichte des Schäfertanzes dokumentiert Weigel mit der offensichtlich wörtlich übernommenen Predigt des Archidiakonus Seyboth aus dem Jahr 1770, in der er im Geiste des kirchlichen Antijudaismus jener Zeit erklärt beschreibt, wie die Juden im 14. Jahrhundert aus Rothenburg ihr neues Jerusalem machen wollten. Dies hat aber  nichts mit dem touristischen Slogan Rothenburgs von heute als „Fränkisches Jerusalem“ zu tun. Der Ausdruck „Fränkisches Jerusalem“ stammt von Kaspar Bruschius aus dem 16. Jahrhundert. Seyboth berichtet also, dass die Juden, um ihr Werk zu vollbringen, heimlich andere Juden in Fässern versteckt in die Stadt brachten, dann die Brunnen vergifteten wollten. Ein Schäfer habe dies bemerkt und den Magistrat informiert. Daraufhin sollte es zu einem Prozess am kaiserlichen Hof gegen die Rothenburger Juden kommen. Noch bevor dieser begann, hätten die Juden erneut versucht, an einem Karfreitag, als alle Bürger in der Kirche waren, die Stadt zu übernehmen. Dies misslang, weil der bereits tätig gewesene Schäfer, welcher der hebräischen Sprache mächtig war, den Plan, alle Bürger massakrieren zu wollen,  belauschte und dies wiederum dem Rat anzeigte. Viele Juden seien daraufhin selbst massakriert und lebendig verbrannt worden und die Stadt von den „Juden auf ewig geräumt worden“. Zum Dank für die Errettung wurde den Schäfern Privilegien zugestanden. Einmal im Jahr durften sie die Stadt betreten und auf dem Marktplatz tanzen. – In den Stadtführern nach 1945 wird diese den Antisemitismus auslösende Legende nicht mehr geschildert. In Büchern über die Stadt wurde sie hin und wieder erzählt und dann endgültig in den Bereich der Legende verwiesen, wie es u. a. im „Merian“-Heft vom Mai 1963 „Rothenburg und die Tauber“ nachzulesen ist.

Auf dem lose aufklappbaren Stadtplan im Weigelschen Stadtführer nach 1933 sind die Standorte von Sehenswürdigkeiten und wichtigen Gebäuden durch Nummerierung und Erläuterung in der Legende eingezeichnet. Darunter auch das Gebäude der letzten Synagoge in der Herrngasse /Ecke Heringsbronnengasse mit der Nummer 27. In der Legende steht lediglich: „Patrizierhaus“.

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  •  Stadtführer durch Rothenburg ob der Tauber“ von Dr. phil. Martin Weigel, Verlag C. H. Trenkle, Inh. Oscar Münch, Rothenburg ob der Tauber, o. J., 80 Seiten

 

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