Eine Vorbemerkung zu diesem Artikel über den Verein Alt-Rothenburg in nationalsozialistischer Zeit ist nötig. Mit dieser Schilderung und Kommentierung über die Tätigkeits-Darstellung des Vereins in jenen zwölf Jahren sollen keinesfalls die großen Verdienste des Vereins vor 1933 und nach 1945, auch nicht die wichtigen Maßnahmen zum Denkmalschutz seit Bestehen des Vereins geschmälert werden. Das ist nicht die Intention dieses Berichts, auch nicht der Herausgeber dieser Online Dokumentation. Die Bemühungen des Vereins, sich heute reflektierend der Zeit des Nationalsozialismus durch Vorträge (Unbehauen) und Herausgabe von Büchern anzunähern, werden durchaus gewürdigt.
Von Wolf Stegemann
Heimatvereine, ob in Niedersachsen oder Bayern, in Westfalen oder im Rheinland, tun sich oft schwer im Umgang mit ihren nationalsozialistischen Verstrickungen zwischen 1933 und 1945, so sie die zwölf Jahre auf der Schiene des neuen nationalsozialistischen Heimatgedanken überstanden haben und danach so weitermachten, als ob es diese zwölf Jahre mit ihren schweren Einschnitten ins Vereinsleben und bei ihren Mitgliedern nicht gegeben hätte. Schon 1933 wurden Juden und plötzlich aus anderen Gründen missliebige Mitglieder aus dem Vereinen entfernt. Während und nach dem Krieg gedachten die Vereine ihrer gefallenen Mitglieder, nicht aber jener, die vorher schon gehen mussten, weil man sich an sie nicht öffentlich erinnern wollte, um sich nicht der Problematik einer allzu offensichtlichen Verschmelzung mit dem Nationalsozialismus stellen zu müssen. Oft lag und liegt dies auch am Verhalten einzelner Personen. Man schwieg lieber, wie in der Nachkriegsgesellschaft viele geschwiegen haben. Man machte sich selbst zum Opfer der bösen Nationalsozialisten, die man eigentlich schon immer ablehnte, und zum Opfer der alliierten Bomberflugzeuge, die die schönen Städte platt machten. Darüber ließ und lässt man sich seitenweise aus.
Die meisten Geschichtsvereine begrüßten freudig die Wende von 1933 hin zum intoleranten Deutschtum (Hans Mommsen). Es gibt auch Heimatvereine, die sich im Dritten Reich nicht gleichschalten ließen, wie ein Beispiel aus Westfalen zeigt. Im dortigen Dorsten hat der Heimatbund die Herausgabe des traditionellen Heimatkalenders ab 1933 freiwillig eingestellt, als Vorstandmitglieder in einem Rundschreiben die politisch-geistigen Veränderungen gut hießen und zu neuen Texten im Sinne des Führers aufriefen. Der Heimatbund gab seinen Jahreskalender erst wieder 1952 heraus (bis heute). 1933 war das Einstellen des Jahrbuchs ein mutiger Schritt. Das hinderte freilich etliche Autoren – vornehmlich aus der Lehrerschaft – nicht daran, in ähnlichen Publikationen der Nachbarstädte ihre unsäglich gewordene Heimat-Tumbheit und ebenso dummes Rassengeschreibsel zu verbreiten.
Gegen Verkitschung, dennoch blieb „ein Hauch von Disneyland“
Der Verein Alt-Rothenburg, 1898 im Nationalrausch jener Jahre entstanden – wie so viele andere Geschichts-, Krieger- und Heimatvereine auch –, bestand kontinuierlich über alle Zeiten weiter, überdauerte den Ersten Weltkrieg, auch wenn in dieser Zeit das Vereinsleben fast völlig zum Erliegen kam, und überstand die Notzeiten danach, die „wenig spektakulär“ verliefen (Richard Schmitt). Doch dann schien es wieder anders zu werden: Der Verein forderte 1931 eine strengere Bestrafung (Bußgelder) für Hausbesitzer in Rothenburg, die zu der dem Tourismus geschuldeten „Verkitschung“ der Stadt beitrugen. In diesem Zusammenhang wird als Vorkämpfer in dem Artikel von Dr. Richard Schmitt „100 Jahre Verein Alt-Rothenburg“ (1998) der Rothenburger Berufsschullehrer und Maler Ernst Unbehauen lobend erwähnt, der sich in den 1930er-Jahren zu einem Antisemiten im Verein Alt-Rothenburg entwickeln sollte. Ob der Verkitschung der Stadt durch Bußen Einhalt geboten werden konnte, geht aus dem Artikel nicht hervor. Zum Stand heute: „Ein Hauch von Disneyland hüllt die Stadt ein“ (Ruhr-Nachrichten Dortmund, 5. August 1989, das bunte journal zum wochenende).
Gleichschaltung: Aus dem Vorsitzenden wurde ein „Führer“
„Wir können nicht so tun, als habe der Verein mit den Geschehnissen der Nazi-Zeit in Rothenburg gar nichts zu tun.“ So beginnt der Aufsatz von Dr. Richard Schmitt vom Verein Alt-Rothenburg über dessen Wirken im Dritten Reich, veröffentlicht im bereits erwähnten Buch zum 100jährigen Jubiläum des Vereins. Dieser Satz mit den Wörtchen „gar nichts“ impliziert, dass sich der Verein endlich zu seiner NS-Vergangenheit bekennen müsse. Im Protokollbuch, so ist weiter zu lesen, habe der „bis dahin so sorgfältige Schriftführer Dr. Schütz aufgehört, Niederschriften weiterhin zu verfassen. Richard Schmitt spekuliert, dass das Protokollbuch ab 1934 zwar weitergeführt wurde, es aber nach dem Krieg „verschwunden“ sein könnte. Denn der damalige Schriftführer des Vereins Alt-Rothenburg war ein ausgewiesener Nazi-Freund und hässlicher Antisemit, der mit seinem pseudowissenschaftlichen Buch „Eine Reichsstadt wehrt sich“ zum Wohlgefallen des Gauleiters Julius Streicher sich in seinem Antisemitismus sonnen durfte und es auch tat. Richard Schmitt beschreibt auch die Abwehr der Gleichschaltung im Oktober 1933, als der „Nordbayerische Verband der Heimatvereine“ dies schriftlich forderte:
„Nach kurzer Aussprache ist der Ausschuss (Vorstand) der Auffassung, dass der Verein keine Gleichschaltung benötigt, da alle Mitglieder auf nationalem Boden stehen und in selbstloser Arbeit der Stadt und dem Verein stets nur wertvollste Dienste geleistet haben. Zudem gehören von den 17 Mitgliedern der Vorstandschaft 7 der NSDAP, einer der NS-Juristenschaft, 6 dem Stahlhelm an. Nur drei […], die Anhänger der NSDAP sind, sind infolge Fristablaufs nicht Mitglieder der Partei, dem Ausschuß aufgrund ihrer nationalen Einstellung sehr willkommen.“
Schließlich bestimmte der Vorstand den Vorsitzenden, Bürgermeister Dr. Liebermann, zum „Führer und 1. Vorstand“ des Vereins. Da Liebermann bereits schon Vorsitzender war, änderte sich personell vorerst nichts. Dieser Zustand hielt allerdings nur Tage an. Der NSDAP-Fraktionsführer Revierförster Zoller wurde Zweiter Bürgermeister und Ortsgruppenleiter der Partei. Als solcher berief ihn Oberbürgermeister Dr. Schmidt in den Vorstand des Vereins Alt-Rothenburg, in dem er „Stellvertreter des Führers“ wurde. „Zugleich trat der gesamte Stadtrat dem Verein bei. […] Unter diesen Umständen verhielt man sich vorsichtig“ (Richard Schmitt). Dennoch keimte noch etwas Mut im Verein auf, als er aufgefordert wurde, am 12. November 1933 geschlossen zur Wahl anzutreten. Das tat der Vorstand nicht, sondern jedes Vorstandsmitglied wählte in seinem Wahlbezirk.
Kein Leben wie im Mittelalter
1934 wehrte sich der Verein Alt-Rothenburg abermals gegen das Ansinnen des bayerischen Wirtschaftsministeriums, demzufolge Rothenburgs Bevölkerung in mittelalterlicher Kleidung herumlaufen sollte. Um das Ministerium zu besänftigen, wäre laut Protokoll der „Führerbeirat“ des Vereins bereit gewesen, vielleicht zu Pfingsten die Bevölkerung dazu zu bewegen, sich zu verkleiden. Danach endeten die erhalten gebliebenen Protokolle der Vereins Alt-Rothenburg. Offensichtlich fängt zu dieser Zeit eine konsequentere Durchdringung des Vereins mit nationalsozialistischem Gedankengut und rassischer Judenfeindschaft an. 1936 löste Stadtamtmann Hans Wirsching, der später den jüdischen Friedhof in Rothenburg „abwickelte“, die Geschäftsführung ab. Aus dem Vorstand traten 1935/36 Liebermann und Hosse aus „gesundheitlichen Gründen“ aus, aus beruflichen Gründen Revierförster und NSDAP-Stadtrat Zoller sowie Lehrer Martin Schütz. Oberbürgermeister Dr. Friedrich Schmidt und sein Stadtamtmann Hans Wirsching übernahmen den Verein, der nun „mit der Stadtverwaltung gleichgeschaltet“ war.
1936 wurde im ehemaligen Dominikanerinnenkloster, das die Stadt 1933 dem bayerischen Staat abgekauft hatte, ein Museum eingerichtet. Bis dahin war dort das Finanzamt untergebracht. Der Verein Alt-Rothenburg stellte seine Sammlungen unter dem Vorbehalt der „Vorläufigkeit“ dem Museum zur Verfügung. Allerdings gingen die Sammlungen irgendwann in das Eigentum der Stadt über, weil der Verein auf Eigentumsrechte verzichtet hätte. Doch darüber gibt es, wie Richard Schmitt schreibt, keinen Nachweis. Auch übergab der Verein der Stadt im Zuge der Gleichschaltung mit der Kommune sein Vermögen in Höhe von 6.000 Reichsmark. Somit war der Verein weitgehend „lahm“ gelegt. Chronist Dr. Richard Schmitt 1998:
„Inwiefern der Verein außer als Herausgeber der „Linde“ und der Jahresberichte sowie einiger Publikationen zur Stadthistorie noch von Bedeutung war, kann im Moment kaum beurteilt werden. Die vorhandenen Quellen liefern lediglich einige Blitzlichtaufnahmen aus jener dunklen Zeit.“
Im Verein machte sich verstärkt der Antisemitismus breit
Zu diesen hellen Momenten, wie sie Schmitt beschreibt, gehört sicherlich nicht der sich im Verein Alt-Rothenburg breit machende Antisemitismus, wie an anderer Stelle dieser Dokumentation nachgewiesen ist. Wenn auch die Protokolle des Vereins verschwunden sind, so zeugen doch die antijüdischen Beiträge in der der vom Verein herausgegebenen Zeitungsbeilage des Fränkischen Anzeigers „Die Linde“ von verstärkten antisemitischen Strömungen im Verein Alt-Rothenburg. Joshua Hagen beschreibt in seinem 2006 in englischer Sprache erschienenen Buch „Preservation, Tourism und Nationalism“ (Aldershot 2006) den Antisemitismus im Verein Alt-Rothenburg. In der Rezension (Sehepunkte 7, 2007, Nr 12) von Thomas Götz von der Universität Regensburg steht daher der Satz: „Eindrücklich belegt dagegen wird die beklemmende Rolle von (ehemaligen) führenden Antisemiten und Nationalsozialisten im Verein Alt-Rothenburg bis weit in die 1970er-Jahre“ (S. 253f. u. ö.).
Antisemitische Vorträge
Der bereits erwähnte Ernst Unbehauen, prominentes Mitglied des Vereins, fertigte in „Stürmer“-Manier für die Stadttore antijüdische Schilder an. Der ebenfalls erwähnte Studienrat Dr. Martin Schütz schrieb die Vertreibung der Juden aus Rothenburg im 16. Jahrhundert in eine nationalsozialistisch-rassisch-antisemitische um und bekam für sein 1938 erschienenes Buch „Eine Reichsstadt wehrt sich“ viel lokales, regionales und überregionales Lob. Als der Heimat-Schriftsteller G. Harro Schaeff-Scheefen in einem Vortrag beim Verein Alt-Rothenburg 1939 aus dem Judenhasser Teuschlin einen „mutigen Kämpfer gegen die Juden“ machte, ergötzten sich die Zuhörer (Joshua Hagen in „Preservation, Tourism and Nationalism).
Einschwörung auf den Nationalsozialismus mit der Jahresgabe 1941
1941 gab der Verein für seine Mitglieder ein Wappenbüchlein heraus, dem ein Grußwort des damaligen Rothenburger Bürgermeister und Vereinsführer (Vorsitzender) Alt-Rothenburg, Dr. Friedrich Schmidt, und ein Schreiben des emeritierten Pfarrers Dr. Martin Weigel beilag, der früher Stadtpfarrer in Rothenburg und Mitbegründer des Vereins war. Das Grußwort des Bürgermeisters kam aus der Etappe im besetzten Frankreich, Weigels Brief aus Nürnberg, wo der damals 74-Jährige zuletzt Pfarrer war und seinen Ruhestand verbrachte. Er starb 1943. Dr. phil. Weigel, damals der einzig noch Lebende der Vereinsgründer, ein fanatischer Nationalsozialist, mahnte die Mitglieder, Vereinsarbeit im „echt nationalsozialistischem Geist“ zu leisten. Er schrieb u. a.:
„Die Pflichten des gerade durch die seinerzeitige Arbeit des Vereins stark anwachsenden Fremdenverkehrs erledigte der Verein nur insofern, als sie Ehrensache waren; das Geschäftliche ging an eine besondere Vereinigung über. Unsere Altertumssammlung ist Dank hoher Hilfe zu einem prächtigen Museum im Klosterhof geworden, das nun der Stadt gehörig, sein eigen Leben führt. So blieb dem Verein eigentlich nur die Pflege der Geschichte der Stadt, die er bislang treulich ausgeübt hat. Mit dieser Entwicklung aber muß nicht nur, sondern kann auch der Verein ganz zufrieden sein. Denn gerade die Erforschung und Darstellung der Rothenburger Geschichte – nunmehr aber in zielbewußter Ausrichtung auf die Gegenwart – ist die große dankbare Aufgabe des Vereins in der Zeit des neuen nationalsozialistischen deutschen Reiches […].
Sagen wir es offen: Der Wert unserer Stadt liegt nicht im Alter ihrer Steine, in der Menge ihrer Gäste, in der Fülle ihrer Sammlungen, ja nicht einmal in der Zahl ihrer Einwohner – das alles ist letzten Endes materialistisch und nicht nationalsozialistisch gedacht –, sondern in der Bedeutung, die sie hat für die innere Erneuerung unseres Volkes für die Erwachung und Stärkung jener deutschen Ideale, die unsere Gegenwart und unser großer Führer sehen will und vorlebt. Nicht ein Schatzkästlein aus der Vergangenheit, sondern ein lebendiges und lebensspendendes Herrlein im jetzigen dritten Reich soll unsere Heimatstadt sein, wie sie es im ersten Reich war. […] Der regsame, schöpferische, kampffrohe, fränkisch-deutsche Geist (muß uns wieder zu eigen werden), der je und je unserem heimischen Blut und Boden entsproß, Kraft gebend, Kraft fordernd, von den Urzeiten erster Besiedlung an bis heute. Und darum muß der Geist Alt-Rothenburgs sein: Pietät gegen das Erbe der Väter, Liebe zur Heimat, der Wille von den Ahnen zu lernen, deutsch und volksverbunden zu sein … (die alte) Tauberstadt wieder zu Ehren zu bringen.“
Dr. Martin Weigel war Inhaber des goldenen Ehrenzeichens und der silbernen Dienstauszeichnung der NSDAP, zudem Ehrenmitglied des Vereins Alt-Rothenburg. Das Stadtarchiv hat 1945 die beigelegten Grußworte aus „fast aus allen Wappenbüchlein“ des Vereins Alt-Rothenburg entfernt (Dr. Richard Schmitt, in „Die Linde“ 2013).
Reflektionen über den Verein in der NS-Zeit
Über antisemitische Vorkommnisse der exponierten Vereinsmitglieder Ernst Unbehauen und Dr. Martin Schütz schreibt Dr. Richard Schmitt in der Jubiläumsschrift 1989 (S. 34) entschuldigend:
„Es soll hier keineswegs der Versuch gemacht werden, verdiente Mitglieder des Vereins aus der Sicht des besser wissenden und besserwisserischen Nachfahren zu denunzieren. Individuelle Schuldzuweisungen an Leute, die in einem Unrechtsstaat leben und überleben mussten, sind ohnehin fragwürdig, nicht zuletzt wegen unseres geringen Informationsstandes. Freilich sind die Judentafeln von Unbehauen und die Ausfälle von Martin Schütz nicht zu entschuldigen, sie fielen auch damals aus dem Rahmen abendländisch-christlicher Wertvorstellung. Anderes, was sich zufällig in den Vereinsarchivalien erhalten hat, spiegelt wohl eher den Zeitgeist wider, zeigt die Akteure eben als Kinder ihrer Epoche – und da war man in einer evangelischen Kleinstadt in Franken eben, national’, d. h. konservativ und chauvinistisch.“
NS-Akteure mit Kindern verglichen – als „Kinder der Epoche“ bezeichnet
Es fällt schwer, diese relativierende Erklärung zu verstehen. Wenn Richard Schmitt die „Akteure“ als „Kinder der Epoche“ bezeichnet, dann missbraucht er die Unschuld und das Urvertrauen, das mit Kindern in Zusammenhang gebracht wird. Er darf nicht jenen zugeschrieben werden, die dem menschenverachtenden Regime dienten. Akteure in der nationalsozialistischen Zeit waren nicht unschuldig wie „Kinder ihrer Epoche“. Im Dritten Reich, um auch dies festzustellen, gab es keinen Rahmen abendländisch-christlicher Wertvorstellungen mehr, aus denen dann Täter wie Unbehauen und Schütz gefallen seien. Das impliziert nämlich, dass die anderen im Rahmen abendlich-christlicher Wertvorstellungen geblieben sind.
Aufgrund der wissenschaftlichen Arbeiten von Dr. Joshua Hagen und Daniel Bauer über die nationalsozialistische Zeit in Rothenburg weiß man heute, dass die schlag- und tatkräftige Zustimmung der Rothenburger zur NS-Diktatur im Vergleich mit anderen Städten und Regionen exorbitant hoch war. Der Verein Alt-Rothenburg sich von dieser Zustimmung nicht ausgenommen, wie Hagen belegt. „Konservatismus“ und „Chauvinismus“, wie es Schmitt nennt, treffender „althergebrachter Antisemitismus“ und „Deutschtümelei“, waren der fruchtbare Nährboden. Auf ihm gedieh die Rothenburger Blüte des Nationalsozialismus, um im Bild zu bleiben.
Nationalsozialismus lediglich als „Nazi-Schwindel“ bezeichnet
Im Jahresbericht 2011/12 des Vereins Alt-Rothenburg thematisierte der Schriftführer des Vereins, Gymnasiallehrer Dr. Richard Schmitt, die nationalsozialistische Zeit in Rothenburg ob der Tauber. Er sagte:
Sehr überrascht hat mich, dass in unserer Zeitung unter der Schlagzeile „Wir waren alle begeistert“ ein Interview mit einem ehemaligen Lokalpolitiker zu lesen war, das eigentlich eher die Überschrift „Wir wurden allesamt betrogen“ verdient hätte. Rothenburg war vor 1933 und wohl auch danach vermutlich keine Stadt, in der es einen auffallend großen, überdurchschnittlichen Anteil von überzeugten und aktiven Nationalsozialisten gegeben hat. Im „braunen Gürtel“ Ober- und Mittelfrankens dürfte es sich wenig von Windsheim, Uffenheim oder Feuchtwangen unterschieden haben. Natürlich sorgten die örtlichen und überörtlichen Nazis dafür, dass Rothenburg als die „deutscheste aller Städte“ in der amtlichen Fremdenverkehrswerbung eine gewisse Rolle spielte. Aber vermutlich gab es auch hier nur eine Minderheit von lautstarken, durch Charakter und Erziehung disponierten Personen, die auf den Nazi-Schwindel hereinfielen oder ihn sich zwecks Beförderung ihrer Laufbahn zunutze machten. Andere schwammen nicht mit dem Strom, hielten Distanz zum NS-Regime. Durch den Staatsterror an öffentlichen Meinungsäußerungen gehinderte Gegenpositionen etwa kirchlich oder sozialdemokratisch orientierter Leute mit gesundem Menschenverstand und Herz existierten durchaus. Das sollte man nicht übersehen. Nicht alle waren, wie der erwähnte „Zeitzeuge“ begeistert von dem, was nach 1933 in Rothenburg geschah. Und auch er war es hoffentlich nur in seinen Jugendjahren. Nach all dem, was er im Krieg und in sowjetischer Kriegsgefangenschaft erleben musste, hätte er seine jugendliche „Begeisterung“ für den Nazistaat vielleicht ein wenig hinterfragen können.
Überwältigende Mehrheit in Rothenburg für Hitler gestimmt
Zu den Aussagen in diesem kurzen Auszug der Rede vor Mitgliedern des Vereins Alt-Rothenburg in der Jahreshauptversammlung am 18. Dezember 2012, ließe sich viel sagen. Die Leser können sich nach Lektüre dieser Online-Dokumentation selbst ein Bild davon machen, wie extrem nationalistisch, nationalsozialistisch und antisemitisch Einwohner Rothenburgs und der Landgemeinden waren, wo schließlich eine überwältigende Mehrheit in den letzten freien Wahlen für Hitler stimmte, wofür die Stadt von der NS-Reichsführung viel Lob bekam. Den Nationalsozialismus mit seinen Staats- und Kriegsverbrechen und den weit verbreiteten Antisemitismus der Bevölkerung als „Nazi-Schwindel“ zu bezeichnen, ist gelinde gesagt unpassend wie das heute immer noch versuchte Verdrängen einer Zeit, in der abscheuliche Taten aus der Bevölkerung heraus begangen wurden. Im vollen Licht der jubelnden Öffentlichkeit – auch in Rothenburg ob der Tauber wie beispielsweise die Anbringung der antisemitischen Judentafeln an den Toren, die antisemitischen Vorträge im Verein Alt-Rothenburg (Schütz, Scheff-Scheefen), über die im FA berichtet wurde, und die Vertreibung der Juden am 22. Oktober 1938.
53 Jahre wären für wissenschaftlich Forschende und Schreibende, wie es sie im Verein Alt-Rothenburg gibt, auch ohne Sitzungsprotokolle ein langer und ausreichender Zeitraum gewesen, die Geschichte des Vereins Alt-Rothenburg in der Nazi-Zeit akribisch zu erforschen und die Ergebnisse zu veröffentlichen. – Das man dies nicht anpackt, dafür mag es Gründe geben.
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Herr Stegemann, auch Sie sind “Kind ihrer Epoche”. (Wie jeder Mensch.) “Unschuldig” sind Sie deswegen noch lange nicht – wie wir alle. Was soll Ihre Scheißpolemik gegen den Verein Alt-Rothenburg? Wir wissen doch viel zu wenig über die Rolle des Vereins nach 1933. Nach 1945 war jedenfalls kein ehemaliger Nazi Vorstandsmitglied, der Nazibürgermeister Friedrich Schmidt saß als gewähltes Mitglied im Vereinsausschuss, Ernst Unbehauen war als (von der Stadt ernannter) Stadtheimatpfleger im Ausschuss des Vereins kraft Satzung vertreten. Wo ist die Kirche? Im Dorf. Lassen Sie sie auch dort.
Mit freundlichen Grüßen R. Schmitt