„Der Stürmer“ – antisemitisches und pornografisches Hetzblatt denunzierte und drohte. In Rothenburg war es dominierende Lektüre in Schulen

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“Stürmer”-Kästen gab es vermutlich in jeder Stadt (Bild: Worms) – und besonders an Schulen; Foto: Bundesarchiv

Von Wolf Stegemann

Im Deutschen Reich waren die so genannten Stürmer-Kästen verbreitet. Das waren mit antisemitischen Parolen beworbene öffentliche Schaukästen, in denen die aktuelle Ausgabe kostenlos zu lesen war. Während der Olympischen Sommerspiele 1936 wurden an den Wettkampforten die Stürmer-Kästen abmontiert bzw. leer gelassen, und das Blatt wurde an einigen Kiosken vorübergehend nicht verkauft. Damit sollte die Reputation des Deutschen Reichs im Ausland gewahrt bleiben. 1937 gab es etwa 700 Stürmer-Kästen. In Rothenburg hing ein Stürmer-Kasten in der Herrngasse 17. Belegt ist, dass in den Rothenbur­ger Schulen die Lektüre des Hetzblatts „Der Stürmer“ und der NSDAP-Zeitung  „Völkischer Beobachter“. dominierten (Dr. Daniel Bauer).

Antisemitisches, pornografisches und hetzerisches Wochenblatt

Hauptthema der am 20. April (Hitlers Geburtstag) 1923 von Julius Streicher in Nürnberg gegründeten antisemitischen, pornografischen und hetzerischen Wochenzeitung „Der Stürmer“ war der Kampf gegen die „Degeneration der nordisch-germanischen Rasse“ durch Rassenschande. Inhalt des Stürmers waren daher überwiegend geradezu pornografische, oft sadistische Schilderungen von Vergewaltigungen und anderen Formen von sexueller Nötigung deutscher Frauen durch Juden. Um seine Leser davon zu überzeugen, dass es die Absicht „der Juden“ sei, die „nordisch-germanische Rasse“ zu schädigen, bediente sich der Stürmer eines umfassenden Systems der sexuellen Denunziation. Der Jude vergreife sich nicht nur an arischen Mädchen und Frauen, sondern sei auch unermüdlich darauf aus, Kinder und Kleinkinder zu schänden. Sodomitische Handlungen, homosexuelle Aktivitäten und alle nur erdenkbaren Perversionen seien dem Juden als Mittel recht, die arische Rasse zu vernichten. Durch Prostitution und Mädchenhandel würden syphilitische Beschwerden und andere Geschlechtskrankheiten gezielt auf die Arier übertragen, um diese zu vernichten.

Titelseite Nr. 10/1940

Titelseite Nr. 10/1940

Oft basierten die Artikel auf Berichten von Lesern, die den vollen Namen der jüdischen Beschuldigten wiedergaben; teilweise erschienen die Artikel auch als aktuelle Berichterstattungen über Kriminalfälle bzw. Gerichtsverhandlungen. Auch religiöse Themen bildeten einen Teil des antisemitischen Repertoires des Stürmers (Ritualmörder, Gottesmörder). Darüber hinaus gab es diffamierende Artikel über jüdische Ärzte, Anwälte, Kaufleute und Viehhändler. Ziel dieser Artikel war, so der Historiker Dennis E. Showalter, die Kennzeichnung des Juden als „böser Nachbar“ und damit die Übertragung eines abstrakten antisemitischen Feindbildes auf identifizierbare Mitglieder der Gesellschaft. Die aggressive Judenfeindlichkeit des Stürmers wurde noch dadurch verdeutlicht, dass seit 1927 Heinrich von Treitschkes Zitat „Die Juden sind unser Unglück!“ am Fuße einer jeden Titelseite stand.

Ausgabe aus dem Jahr 1936

Ausgabe aus dem Jahr 1936

Fotografen denunzierten Kunden jüdischer Geschäfte reichsweit

Die bösartigen Artikel im „Stürmer“ wurden oft von großformatigen Überschriften und vulgär-antisemitischen Karikaturen von Philipp Ruprecht (Pseudonym Fips) oder von Fotos begleitet, um die im Text dargestellten antisemitischen Stereotype auch visuell zu illustrieren. In der Rubrik „Am Pranger“ wurden „art-vergessene“ Frauen und Männer angeprangert und deren Bestrafung eingefordert. Es wurden auch Namen und Fotos von Personen veröffentlicht, die in jüdischen Geschäften einkauften. Privatpersonen und von der Partei beauftragte Fotografen, mal in SA-Uniform mal in Zivil, standen vor den jüdischen Geschäften, fotografierten die „arischen“ Kunden, wenn sie das „jüdische“ Geschäft verließen, und schickten die Fotos mit Namen an den „Stürmer“. In seiner wöchentlichen Ausgabe veröffentlichte das Blatt auch Listen verhafteter Juden, die verdächtigt wurden, gegen die 1935 eingeführten Nürnberger Rasse-Gesetze verstoßen zu haben. „Der Stürmer“ erhielt außerdem unter der Rubrik „Lieber Stürmer“ wöchentlich zahlreiche Leserbriefe mit antisemitischem und teilweise denunzierendem Inhalt. Sie wurden ab 1935 auch von der Gestapo ausgewertet. Betroffenen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen, die vom „Stürmer“ beleidigt und angegriffen wurden, war allgemein jeder rechtliche Schutz dagegen verwehrt.

"Stürmer"-Titel  Nr. 31/

“Stürmer”-Titel Nr. 31/1937

Entwicklung der Auflage bis Februar 1945

Zunächst erschien „Der Stürmer“ im „Völkischen Verlag Wilhelm Härdel“, ab 1935 im Verlag „Der Stürmer“. In der Anfangszeit hatte das Blatt nur eine eher geringe Auflagenzahl, mit der Machtübernahme der NSDAP stieg die verkaufte Auflage. Die letzte Ausgabe erschien am 22. Februar 1945. Die genaue Auflage des Stürmers ist nicht ermittelbar. Nach den Angaben von Julius Streicher im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess schätzte Dennis E. Showalter, dass der „Stürmer“ 1927 eine Auflage zwischen 17.000 und 20.000 hatte und in den Jahren nach 1933 sechsstellige Auflagenhöhen erreichte. In der Urteilsbegründung des Nürnberger Gerichtshofes ist von einer Auflage von 600.000 ab dem Jahr 1935 ausgegangen worden. Fred Hahn geht davon aus, dass lediglich Streichers Aussage über die Auflage für 1934 in Höhe von 40.000 als gesichert angesehen werden kann.

Julius Streicher 1946 in der Nürnberger Gefängniszelle

Julius Streicher 1946 in der Nürnberger Gefängniszelle

Herausgeber Julius Streicher wurde in Nürnberg zum Tode verurteilt

Franken-Gauleiter Julius Streicher war Herausgeber der Zeitung und nutzte dazu den eigenen „Stürmer-Verlag“. Er  war einer der radikalsten Antisemiten und forderte die Todesstrafe für jüdische „Rassenschänder“. Er bezichtigte indirekt sogar Hitler zu großer Nachgiebigkeit in der „Judenfrage“. Manche Parteigenossen hielten Streicher für „nicht ganz zurechnungsfähig“. Dennoch genoss Streicher die persönliche Protektion Hitlers.

In Rothenburg genoss Streicher eine höchste Anerkennung. Beweis dafür ist die sogenannte „Mahntafel“, die man am Rödertor angebracht hatte. Diese Tafel zitierte in Stein gemeiselt einen antisemitischen Satz Julius Streichers vom 12. Februar 1936: „Die Weltgeschichte nennt die Namen der Völker, die am Juden zugrunde gingen. Ihr tragisches Ende ist eine furchtbare Mahnung für die Völker, die noch am Leben sind.“ Ein Foto dieser Tafel ist veröffentlicht in dem Buch von Martin Schütz „Eine Reichssatadt wehrt sich“ (Seite 81) und im „Stürmer“. – Julius Streicher wurde 1946 in den Nürnberger Prozessen aufgrund seiner Aufhetzung zum Judenhass wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, zum Tode verurteilt und hingerichtet.

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Seite mit Denunziationen im “Stürmer”

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Quellen: Informationen entnommen Wikipedia, Online-Enzyklopädie, teilweise zusammengefasst oder erweitert, und Daniel Bauer „Formen nationalsozialistischer Herrschaft in Rothenburg ob der Tauber“ in: Jahrbuch für fränkische Landeskunde“ 70/2010.
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