Der gewählte Weg in die Diktatur – Wahlen vor dem Ende der Weimarer Demokratie stärkten die NSDAP, Politik und Presse zogen daraus falsche Schlüsse

 „Das Jahr 1932 war eine einzige Pechsträhne. Man muss es in Scherben schlagen. Draußen geht der Weihnachtsfrieden durch alle Straßen. Ich sitze ganz alleine zuhause und grüble über so vieles nach. Die Vergangenheit war schwer, und die Zukunft ist dunkel und trübe; alle Aussichten und Hoffnungen vollends entschwunden.“

Josef Goebbels, 23. Dezember 1932

Wir wissen heute, der Karren ist nicht unbeweglich festgefahren. Der gewaltige nationalsozialistische Angriff auf den Staat ist abgeschlagen.“

Frankfurter Zeitung vom 1. Januar 1933

1932 war ein Jahr der Propaganda und Versprechungen aller Parteien

1932 war ein Jahr der Propaganda und Versprechungen aller Parteien

Von Wolf Stegemann

Eine der wichtigsten Wahlen vor dem Ende der Demokratie war die Reichstagswahl am 31. Juli 1932, wenige Monate vor der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler – und der Wahlkampf im Sommer 1932 mit 99 Toten und 1.125 Verletzten der gewalttätigste, den die Republik je erlebt hatte. Die Wahl brachte der NSDAP beträchtlichen Zuwachs, die SPD verlor Stimmen an die KPD, doch konnten sich beide Parteien stabilisieren. Leichte Zugewinne konnten die katholischen Parteien (Zentrum und BVP) erzielten. Der politische Liberalismus blieb auf der Strecke. Insgesamt bekamen die Gegner der Weimarer Republik bei dieser Wahl zum 6. Reichstag die Mehrheit, obgleich sie die Mehrheit parlamentarisch nicht erreichten. Daher musste am 6. November 1932 erneut gewählt werden.

Mehr Macht dem Reichspräsidenten

Mehr Macht dem Reichspräsidenten

Reichspräsident Paul von Hindenburg hatte am 31. Mai 1932 Franz von Papen mit der Bildung einer „Regierung der nationalen Konzentration“ ernannt. Hitler und Göring signalisierten Unterstützung, wenn das Verbot der SA aufgehoben und Neuwahlen ausgeschrieben werden würden. Das Zentrum lehnte eine Beteiligung ab. So bildete von Papen am 1. Juni 1932 das so genannte Kabinett Papen, das die SPD und deren Presse ablehnend als „Kabinett der Barone“ bezeichnete. Da die Regierung im Parlament keine Mehrheit hatte, löste der Reichspräsident den Reichstag bereits am 4. Juni wieder auf, da er nach den vorangegangenen Landtagswahlen angeblich nicht mehr die Mehrheit des Volkes repräsentierte. In einer Regierungserklärung, die der neue Reichskanzler nicht im Parlament abgab, sondern im Rundfunk verlas, griff von Papen die Parteiendemokratie scharf an. Er regierte in der Folge mit Notverordnungen. Durch die 1929 ausgebrochene Weltwirtschaftskrise nahmen die Zahl und die Not der Erwerbslosen zu, deren Unterstützung gekürzt wurde („Hungerkanzler“). Das Verbot von SA und SS wurde Mitte Juni von Franz von Papen aufgehoben.

SPD-Plakat

SPD-Plakat

Der „Preußenschlag“ ließ erkennen, wie naiv und undemokratisch Politiker handelten

Reichskanzler von Papen benutzte die Wahlkampf-Unruhen im Sommer 1932 als Begründung für den so genannten „Preußenschlag“ vom 20. Juli 1932, den Historiker als „Staatsstreich“ bewerten. Im preußischen Parlament hatten die demokratischen Parteien keine Mehrheit mehr. Bei der Wahl am 24. April 1932 stieg die Zahl der Abgeordnetensitze der NSDAP von 9 auf 162 an. Durch den „Preußenschlag“ wurde der Ministerpräsident im Amt durch einen Reichskommissar für Preußen ersetzt,  ohne dass die SPD oder die Gewerkschaften dagegen Widerstand geleistet hätten. Kurzfristig wurde in Berlin der Ausnahmezustand ausgerufen. Bei den Reichstagswahlen konnten die Nationalsozialisten ihre Mandate verdoppeln und wurden mit 230 Sitzen die stärkste Fraktion. Rund 14 Millionen Deutsche wählten Adolf Hitler, dessen NSDAP mittlerweile mehr Mitglieder hatte als die SPD. In den Wahlkämpfen setzte die NSDAP auf die Anziehungskraft von Adolf Hitler und warb mit dem wirksamen Slogan „Arbeit und Brot.“ Sie kündigte ein wirtschaftliches Sofortprogramm und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen an. Die SPD verlangte einen grundlegenden Umbau der Wirtschaft durch Verstaatlichungen und vernachlässigte daneben die Forderung nach Arbeitsbeschaffung.

NSDAP-Plakat

NSDAP-Plakat

Folgen der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932

Ein Großteil der Wähler der bürgerlichen Parteien wählten NSDAP, viele Erstwähler ebenso und vor allem auch die Selbständigen wie Bauern, Handwerker und Kaufleute. Auf dem Land war die Partei erfolgreicher als in den Städten. In protestantischen wurde die NSDAP stärker gewählt als in katholischen. Am stärksten war die Partei in Schleswig-Holstein. Allerdings gab es regionale Abweichungen. Die höchsten Stimmenanteile erzielte die NSDAP in Mittelfranken. In Rothenburg ob der Tauber kam sie auf 81 Prozent. Die NSDAP hatte hier ihr Wählerpotential weitgehend ausgeschöpft.
Offenkundig machte die Reichstagswahl vom 31. Juli 1932, dass die Regierung Papen gegen den überwiegenden Teil der Bevölkerung ihre Macht ausübte. Für die ihn unterstützenden Deutschnationalen stimmten nur 5,9 Prozent der Wähler. Bei über der Hälfte der abgegebenen Stimmzettel (57,7 Prozent) waren die drei antidemokratischen Parteien angekreuzt: NSDAP, Deutschnationale Volkspartei (DNVP) und Deutsche Volkspartei (DNV), die zusammen mit 274 zu 608 Sitzen allerdings nicht die Mehrheit im Reichstag hatten. Das  Parlament konnte formal nicht mehr funktionieren. Für die NSDAP (230 Sitze) kam keine andere Lösung in Frage, als die der Kanzlerschaft für Adolf Hitler. Josef Goebbels trug am 6. August 1932 in sein Tagebuch ein:

„Der Führer besteht auf seiner Kanzlerschaft und auf dem preußischen Ministerpräsidentenposten: das Reichs- und preußische Innenministerium, ein neu zu gründendes Volkserziehungs- und Propagandaministerium. Landwirtschaft und Luftfahrt sollen uns überantwortet werden, ebenso die Justiz…“

Wahlplakat der KPD 1932

Wahlplakat der KPD 1932

Adolf Hitler an der Schwelle zur Macht

Neuwahlen fanden am 6. November statt. Die NSDAP schwächelte beim Wahlkampf, denn die Parteikasse ist leer. Der Partei liefen zwei Millionen Wähler weg. Im Vergleich zur Wahl am 31. Juli kam die NSDAP auf fast 40 Prozent der Stimmen. Goebbels notierte in sein Tagebuch: „Die Lage ist katastrophal.“ Die KPD legte zu. Die gewählten Parlamentsmehrheiten brachten wiederum keine neue Regierung zustande. Daher trat Reichskanzler von Papen am 17. November 1932 zurück. Bei einer Besprechung beim Reichspräsidenten Hindenburg am 1. Dezember 1932, meinte von Papen, das Parlament müsse ausgeschaltet und mit Hilfe der Reichswehr ein totalitäres Regime errichtet werden, das eine völlig neue Verfassung ausarbeiten sollte. Hindenburg stimmte dem zuerst zu, dann aber lehnte er es ab, als die genauen Pläne der Diktatur vorlagen. Er beauftragte Schleicher mit der Regierungsbildung, der glaubte, Hitler und die NSDAP mit Hilfe von SPD und Gewerkschaften zähmen zu können. Doch Hitler hatte seine Partei fester denn je im Griff. Nach politischen Sondierungsgesprächen im Januar 1933 stand Hitler auf der Schwelle zur Macht, den im August 1932 Papen wegen Prügelszenen der SA noch als „Bluthund“ beschimpfte. Der Sohn des Reichspräsidenten von Hindenburg, Oskar, vermittelte. Die Eckdaten der Wirtschaft lagen im Aufwärtstrend, die Wirtschaft und Industrie akzeptierten dem „Emporkömmling“ Hitler, so dass dieser am 30. Januar 1930 die Schwelle der Macht übertreten konnte. Er war an seinem Ziel. Adolf Hitler wurde von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Noch drei Tage zuvor sagte Hindenburg bei einem der vielen Sondierungsgespräche, um aus der Krise zu kommen: „Sie werden mir doch nicht zutrauen, meine Herren, dass ich diesen österreichischen Gefreiten zum Kanzler berufe!“  Er tat es drei Tage später!

Norbert Frei: Hitler hätte es aus eigener Kraft nicht geschafft

Seinerzeit gab es eine Sehnsucht nach Überwindung der Parteienpolitik, der dann Adolf Hitler entsprochen hat. So bewertet der Historiker Norbert Frei die politische Situation in Deutschland unmittelbar vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten. In einem am 13. April 2015 in der „Berliner Zeitung“ veröffentlichten Interview verweist er auf die ersten Maßnahmen und Erfolge des Regimes, mit dem es sehr viele Deutsche verblüffend schnell überzeugte. Insofern seien es nicht so sehr die harten Weltanschauungselemente des Nationalsozialismus, die in der Anfangsphase wachsende Zustimmung begründete, sondern es sei diese volksgemeinschaftliche Aufbruchstimmung, um deretwillen man auch Gewalt und Terror gegen Andersdenkende, die früh sichtbar gewesen sind, in Kauf genommen hat. Zur Folgezeit einschließlich des Zweiten Weltkrieges sagte Frei:

„Wenn wir das strukturgeschichtlich betrachten, lässt sich sagen, dass dieses Regime keinen Haltepunkt finden konnte. Das war ja auch der große Irrtum der alten Eliten, die Hitler 1933 zur Kanzlerschaft verholfen hatten: Sie wurden von seiner Dynamik hinweggespült. Bekanntlich hat es die NSDAP aus eigener Kraft nicht an die Macht geschafft. Hätte man Hitler im Januar 1933 – nachdem die NS-Bewegung den Gipfelpunkt ihres Erfolges bereits überschritten hatte – nicht noch den Weg geebnet, dann wäre den Deutschen und der Welt Vieles erspart geblieben.“

NS-Propaganda

NS-Propaganda

Das Ende der Demokratie und der Beginn einer „neuen Zeit“

Schritt für Schritt hebelten Hitler und seine Paladine die Demokratie aus, vergrößerten ihre Macht, beseitigten mit Hilfe des Parlaments die Demokratie („Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ und errichtete das so genannte „Dritte Reich“ mit dem die Niederlage der Weimarer Republik endgültig besiegelt wurde und Hitler ein verbrecherisches staatliches System errichten konnte, für das „Auschwitz“ als unfassbares Synonym für alle vergangenen und vorausschaubaren Zeiten stehen wird.

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Zur Sache: Machtergreifung oder Machtübergabe?

Wenngleich er sich als verbindlicher terminus technicus bis heute im wissenschaftlichen Diskurs gehalten hat, herrscht in der historischen Forschung weitgehende Einigkeit, den ursprünglich von der NS-Propaganda als „Machtergreifung“ bezeichneten Vorgang der schrittweisen, scheinlegalen Auflösung aller demokratischen Strukturen der Weimarer Republik und der Ersetzung dieser Strukturen durch ein totalitäres Terrorregime unter Betonung des prozessualen Charakters eigentlich treffender mit den Begriffen der „Machtübergabe“ oder der „Machttransformation“ bezeichnen zu müssen.

Der Begriff „Machtergreifung“ suggeriert das von der nationalsozialistischen Propaganda beabsichtigte kämpferische Bild einer einschneidenden plötzlichen Revolution, die ohne jede, in Teilen unfreiwillige, Hilfe anderer Machtgruppierungen ihr Ziel erreichte.

Bleibt der zerstörerische Beitrag der Hitlerbewegung im Hinblick auf die Strukturen der Weimarer Republik unbestritten, gibt es mittlerweile auch über die Tragweite der aktiven Teilhabe reaktionär-konservativer – im Falle der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes auch liberaler und christlicher – Kreise bei der unmittelbaren Machtübertragung an Hitler Konsens. So erscheint der 30. Januar 1933 keineswegs als der epochale Bruch, mit dessen Beginn sofort die gesamte Macht unkontrolliert und unausweichlich in die Hände einer vollständig außerhalb jeder geistig-politischen Kontinuitäten stehenden Machtgruppierung gelegt wurde, sondern vielmehr als der Beginn eines von mehreren Seiten gewollten Transformationsprozesses von der Demokratie in einen autoritären Staat, in dessen Verlauf sich nur die radikalste, entschlossenste und skrupelloseste Seite durchsetzen konnte.

Dr. Ernst Grotenbom

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Quellen: Karlheinz Dederke „Reich und Republik. Deutschland 1917-1933“, Klett-Cotta, Stuttgart 1969. – Gruber/Richter „Die Weimarer Republik“, Hoffmann und Campe, Hamburg 1983. – Volker Hentschel „So kam Hitler“, Droste, Düsseldorf  1980. – Wikipedia, Online-Enzyklopädie (2013).

 

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