Von Wolf Stegemann
Die Lehrer selbst waren das erste Ziel nationalsozialistischer Indoktrination, damit die Jugend im NS-Geiste umerzogen werden konnte. Die Schnelligkeit, mit der insbesondere Volksschullehrer, von denen viele vorher Sozialdemokraten waren oder in katholischen Gegenden dem Zentrum angehörten, Parteiposten übernahmen, gab Anlass zu der Scherzfrage, was die kürzeste messbare Zeiteinheit sei. Die Antwort lautete: Die Zeit, die ein Lehrer braucht, um seine politische Gesinnung zu ändern. So fanden sich schon im ersten Jahr nach der Machtübernahme, in der auch der „deutsche Gruß“ an Schulen eingeführt wurde, Lehrer als Schulungsleiter in den örtlichen NSDAP-Ortsgruppen und als höhere Leiter in der Partei.
So brauchte das NS-Regime auch in Rothenburg die Unterstützung der Institution Schule, um die Erziehungsziele des Nationalsozialismus zu verwirklichen. Überzeugte Nationalsozialisten unter der Lehrerschaft waren im Nationalsozialistischen Lehrerbund organisiert. Gegründet wurde die NSLB-Ortsgruppe Rothenburg-Uffenheim im Juli 1931 (FA vom 3. Juli 1937). Der NSLB in Rothenburg war für „die Durchführung der politisch-weltanschaulichen Ausrichtung aller Lehrer verantwortlich“.
Flaggenappelle und der „Deutsche Gruß“ in Schulen
Monatliche Versammlungen des NSLB mit Vorträgen von Gauamtsleitern schulten die Rothenburger Lehrerschaft im nationalsozialistischen Sinne. Der Leiter des Kreisschulungsamtes Leonard Burkhardt betreute die NSLB-Mitglieder weltanschaulich und politisch. In den Rothenburger Schulen sorgten die Lehrer dafür, dass der „Deutsche Gruß“ eingehalten wurde und Flaggenappelle stattfanden. Rothenburger Lehrer forderten im April 1934 die Schüler auf, beim Betreten des Klassenzimmers mit „Heil Hitler“ zu grüßen. In den Rothenburger Schulen dominierte die Lektüre der Zeitungen „Der Stürmer“ und „Völkischer Beobachter“. Obwohl sich der NSLB infolge der praktischen Zwangsmitgliedschaft in eine Art Standesorganisation verwandelte, blieb die Verzahnung mit der Partei gewahrt, so Rainer Hambrecht „Aufstieg der NSDAP in Mittel- und Oberfranken”. 1936 waren in Stadt und im Bezirk Rothenburg 60 Prozent der Lehrer NSDAP-Mitglieder. Davon waren 27,78 Prozent vor 1933 in die Partei eingetreten. Zwei Jahre vor lag die Parteizugehörigkeit der Lehrer in der Stadt und auf dem Land mit 38,33 sogar über dem Reichsdurchschnitt von 25 Prozent. Dies gewährleistete die Durchdringung des Schulalltags mit der nationalsozialistischen Weltanschauung. Bedeutungsvoll war die Personalunion zwischen Amtsträgern der NSLB und der unteren Ebene der staatlichen Schulverwaltung. Lehrer wie Oberstudiendirektor Eugen Haas oder Leonhard Burkhardt konnten auf die Mitglieder des NSLB sowie auf die gesamte Lehrerschaft Druck ausüben. Eugen Haas war Kreisamtsleiter für den Reichsbund der Deutschen Beamten und Leonhard Burkhardt Kreisamtsleiter des Kreisschulungsamtes. Wie sich ein Zeitzeuge erinnerte, wollten Rothenburger Lehrer ihre Schüler zum Austritt aus der Kirche bewegen. Der Lehrer Haas, der seinen Wohnsitz mitten in der Stadt hatte, beobachtete, ob seine Schüler am Sonntag in die Franziskanerkirche gingen. War dies der Fall, sanktionierte er die Kinder in der folgenden Schulwoche und jene mussten zum Beispiel in der Ecke stehen oder bekamen vermehrt Hausaufgaben. In manchen ländlichen Gebieten – auch mit evangelischer Bevölkerungsmehrheit – war die Entscheidung für die NSDAP ein klares Zeichen der Opposition gegen den örtlichen Pfarrer.
Volksschulsystem behielt seine wesentlichen Strukturen
Das Volksschulsystem war Anfang der dreißiger Jahre gut ausgebaut und konnte im Wesentlichen seine Strukturen durch die NS-Zeit erhalten. Ab 1937 erfolgte die Vereinheitlichung des Schulsystems. Konfessions- und Privatschulen, von denen es in Rothenburg allerdings keine gab, wurden verboten. Der Volksschulbesuch begann im Alter von sechs Jahren und endete nach der 8. Klasse. Daran schloss sich der dreijährige Besuch der Berufsschule an. Begabte Schüler wechselten nach vier Volksschuljahren entweder in die Mittelschule oder in die Oberschule. Nach Festigung ihrer Macht waren es dann die Nationalsozialisten selber, die die Schulen entkonfessionalisierten. 1939 wurde die „Gemeinschaftsschule“ eingeführt.
Rassenlehre im Biologieunterricht
Schon früh gab es im Biologieunterricht die Rassenlehre. Die Eiche wurde als „Sinnbild deutscher Kraft“ dargestellt, die Walnuss, die Edelkastanie und der Weinstock dagegen als „Fremdlinge auf deutschem Boden“. Eine Hauptaufgabe dieses Faches lag in der Verherrlichung der nordischen Rasse. Schüler wurden angehalten, ihre Schädel zu messen und sich gegenseitig nach Rassetypen einzuteilen.
Volksschulen waren im Dritten Reich im Allgemeinen leistungsschwach. Das lag einmal daran, dass die Lehrer durch Nebenbeschäftigungen in verschiedenen Parteiorganisationen überlastet waren, zum anderen daran, dass das Programm der HJ die Kinder körperlich erschöpfte, so dass sie unfähig waren, sich auf das Einerlei der Schularbeiten zu konzentrieren. Hinzu kamen erschwerend die ständigen Reibereien zwischen HJ-Führung und Lehrern. Daher fragte 1942 der General-Anzeiger: „Wird unsere Jugend dümmer?“ Er berichtet, dass bei einer Lehrlingsprüfung von 179 Bewerbern 94 Prüflinge u. a. den Namen von Deutschlands größtem Dichter Goethe nicht zu buchstabieren wussten. Augenzwinkernd darf festgestellt werden, dass sich bis heute nicht viel geändert hat.
Katholischer Volksschullehrerverband rief 1933 zur Tilgung alles Undeutschen auf
Besonders die protestantischen Lehrer zog es zum Nationalsozialismus hin. Aber auch die ansonsten in dieser Hinsicht zurückhaltenden katholischen Pädagogen ließen sich nach Abschluss des Reichskonkordat von „Hitler und dem neuen Reich“ (anfangs) begeistern, da die meisten katholischen Funktionäre und die Amtskirche selbst ihnen dies vormachte. Auf der Kundgebung des bedeutendsten Berufsverbandes der Volksschullehrer, dem „Katholischen Lehrerverbandes des Deutschen Reiches“ sprach in Berlin der Reichstagsabgeordnete und Verbandsvorsitzende August Weber am 1. April 1933 als die Nationalsozialisten politisch bereits etabliert waren. Er sagte u. a.
„Durch den Mahn- und Weckruf Adolf Hitlers und seiner Bewegung und durch seine Arbeit ist der Durchbruch durch den undeutschen Geist, der in der Revolution von 1918 zum Siege kam, gelungen. Jetzt ist das ganze deutsche Volk in allen seinen Gliedern, auch den katholischen, zur Mitarbeit und zum Aufbau des Neuen aufgerufen. Es darf nun nicht mehr so kommen, dass der Katholizismus abwartend und tolerierend, oder nur geduldet, in dieser Zeitenwende dasteht. Wir legen, vertrauend auf den Führer der deutschen und völkischen Bewegung und vertrauend auf die volksverwurzelten Kräfte des Katholizismus, mit Hand an, den neuen Reichs- und Volksbau zu schaffen.“
Dann appellierte er an die Volksschullehrer:
„Möge es vereinter Kraft aller in unserem Volke gelingen, möglichst bald die Spuren alles Undeutschen und alles Volks- und Christentumsfremden aus unserem öffentlichen und staatlichen Leben zu verbannen. Darum schließt die Reihen und seid bereit!“
NSDAP-heiliger Hesselberg: Unterrichtsstoff in Rothenburgs Schulen
Schreiben des Regierungspräsidenten Hans Dippold an das Bezirksschulamt in Rothenburg ordneten die Behandlung bestimmter Themen an. „Aus diesem Anlass ist wie im Vorjahr in allen Volks- und Berufsschulen des Gaues im Unterricht […] auf die geschichtliche Bedeutung des Frankentages und des Hesselberges näher einzugehen.“ Hans Dippold war in seiner Funktion als Regierungspräsident mit Sitz in Ansbach zugleich Garant der Einheit der Verwaltung. Als Repräsentant des Staatsgedankens galt er als „willfähriges Werkzeug Streichers“. Ein Brief Dippolds vom 6. Juni 1939 schrieb auch die gewünschten Unterrichtsmaterialien vor, um der weltanschaulichen Zielsetzung gerecht zu werden: „Wertvolle Unterlagen […] enthält das Maiheft 1937 der Zeitschrift ,Das Bayerland’, das unter dem Titel ,Der Hesselberg – der heilige Berg der Franken’ […] erschienen ist.“
Im Dezember 1937 wurde auf Drängen der Kreisleitung über die Einführung der Gemeinschaftsschule im Kreisgebiet Rothenburg abgestimmt, wobei sich die Lehrerschaft für den von der NSDAP propagierten Schultypus aussprach (FA vom 2. Dezember 1937). Den radikalen Veränderungen der Nationalsozialisten stand das konservativ, allerdings christlich, geführte Schulwesen gegenüber. Ziel war es, die weit vorherrschende Bekenntnisschule durch die Deutsche Gemeinschaftsschule zu ersetzen. Und zwar vornehmlich durch Druck. Die Umgestaltung in Gemeinschaftsschulen erfolgte bis Ostern 1941 in mehreren Etappen.
Schulchronik kehrt 2004 die NS-Zeit unter den Schulteppich
Das 1913 eingeweihte Gebäude des Gymnasiums am Bezoldweg vereinte örtlich und organisatorisch ab 1924 die beiden höheren Schulen in Rothenburg, das Progymnasium und die Realschule. 1937 wurde im Rahmen der nationalsozialistischen Schulreform das Progymnasium abgebaut und die Schule zu einer sechsklassigen Oberschule für Jungen verändert. 1941 begann der Ausbau zur achtklassigen Vollanstalt, die nach dem früheren Rothenburger Oberbürgermeister und späteren nationalsozialistischen bayerischen Ministerpräsident (1933-1942) in „Ludwig-Siebert-Oberschule“ benannt wurde. 1946 wurde sie in „Oberrealschule mit Gymnasium“ umbenannt. Ab 1965 heißt die Schule „Reichsstadt-Gymnasium“ und hat 1978 einen modernen Neubau in der Bleiche bekommen.
In einer 2004 erschienenen großformatigen Festschrift auf Hochglanzpapier („450 Jahre Reichsstadt-Gymnasium Rothenburg 1554-2004) ist die Geschichte der Erziehungsanstalt auf 29 Seiten (von 112) von Dr. L. Schnurrer dargestellt. Nur zehn Zeilen ist der Zeit des Nationalsozialismus gewidmet, einer Zeit, die nachvollziehbar für jeden Schüler und Lehrer sowie für den gesamten Schulbetrieb einschneidend war. Neben der Erwähnung, dass es eine Schulreform und einen neuen Namen gegeben habe, wird in diesen zehn Zeilen mit vier Zeilen noch ein Lob für den Namensgeber von 1941 ausgesprochen, der als bayerischer NS-Ministerpräsident „viel für die Schule getan“ habe.
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