Die Neuapostolische Kirche diente sich den Nationalsozialisten an – Die Rothenburger Gemeinde ist eine Nachkriegsgründung

Von Wolf Stegemann

Die Anfänge der neuapostolischen Christen in Rothenburg ob der Tauber fallen in die frühe Nachkriegszeit, als Teile Rothenburgs noch in Trümmern lagen. 1946 kam die neuapostolische Familie Gollos als Flüchtlinge aus dem ausgebombten Berlin nach Rothenburg und war verwundert, als kurze Zeit darauf der neuapostolische Seelsorger aus Creglingen bei den Gollos an die Tür klopfte, um der Familie Trost zu spenden. Dies erzählte der Bezirksevangelist und stellvertretender Bezirksvorsteher Klaus Burckhardt aus Schwäbisch Hall, als die Neuapostolischen in Rothenburg 2006 ihr 50-jähriges Gemeindejubiläum mit einem Gottesdienst in ihrer Kirche am Michl-Emmerling-Straße feierten.

Neuapostolische Kirche an der Michl-Emmerling-Straße

Neuapostolische Kirche an der Michl-Emmerling-Straße

Erster Gottesdienst im Gasthof „Zur Taube“

Doch vorerst mussten sie sich mit Nebenräumen von Gastwirtschaften begnügen. Der erste Gottesdienst fand am 1. November 1947 im Nebenzimmer des Gasthofs „Zur Taube“ statt, wo sich die Mitglieder trafen. Nachdem die neuapostolische Gemeinde  größer wurde, musste eine andere Räumlichkeit gesucht werden, die man im „Gotischen Haus“ in der Herrngasse fand. Der für die Rothenburger Gemeindeglieder zuständige Apostel Georg Thomas aus Künzelsau organisierte die Gründung einer eigenständigen Rothenburger Gemeinde, die am 1. Januar 1956 stattfand. Bis dahin gehörten die Rothenburger zur Gemeinde Creglingen. Von 1956 bis 1963 war Gemeindeevangelist Ernst Emmert Vorsteher, ihm folgte der Priester Willy Meder aus Creglingen und 1986 Waldemar Burkhard aus Blaufelden, danach Heinz Siegel.

1961 konnte im „Köpfenwieslein“ vorm Würzburger Tor eine neuapostolische Kirche eingeweiht werden Bis zu diesem Zeitpunkt gehörten die neuapostolischen Rothenburger zur Gemeinde Creglingen. Die heutige Kirche in der Michl-Emmerling-Straße wurde 1996 errichtet. 2006 zählten zur neuapostolischen Gemeinde Rothenburg 74 Gemeindeglieder, darunter acht Kinder.

Stammapostel Johann Gottfried Bischoff (1891-1960)

Stammapostel Johann Gottfried Bischoff (1891-1960)

Der Stammapostel diente sich dem Nationalsozialismus an

Die Neuapostolische Kirche geht auf Anfänge im 19. Jahrhundert in Großbritannien zurück. Der Schwerpunkt der Organisation verlagerte sich bald nach Deutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die außereuropäischen Gemeinden zunehmend wichtiger, besonders in Afrika.

Auch wenn es in der Zeit von 1933 bis 1945 offensichtlich keine neuapostolischen Christen in Rothenburg gegeben hat, es ist zumindest darüber nichts bekannt, so ist ein Blick in die Geschichte der Neuapostolischen Kirche wichtig, der heute in diesen Kreisen häufig noch ausgeklammert wird. Wie viele andere Organisationen und Vereine ging auch die Neuapostolische Kirche mit dem nationalsozialistischen Regime Kompromisse ein, auch wenn die christlichen Grundsätze der neuapostolischen Kirche dem Weltbild des Nationalsozialismus grundlegend widersprachen. Während die Zeugen Jehovas mit ihrer Glaubensstärke dem NS-Regime widerstanden haben und für ihr Seelenheil Verfolgung, Gefängnis, Konzentrationslager und Tod in Kauf nehmen mussten, passten sich die Neuapostolischen dem NS-Regime nicht nur an, sondern vertraten öffentlich auch deren Positionen. In welchem Umfang nationalsozialistische Ansichten verbreitet und die Einstellung angepasst wurde, und ob dies aus Angst vor Repressalien oder aus eigenem Antrieb geschah, ist bis heute Streitpunkt zwischen Mitgliedern und Kritikern der Neuapostolischen Kirche.

Stammapostel wurde NSDAP-Mitglied

Im Jahre 1933 wurden alle neuapostolischen Gemeinden kurzfristig verboten. Der damalige zum Stammapostel berufene Johann Gottfried Bischoff, der in die NSDAP eingetreten war,  versuchte, gute Beziehungen zum nationalsozialistischen Regime aufzubauen, um die Aufhebung der Verbote zu erwirken. Am „Tag von Potsdam“ predigte Bischoff, dass jetzt der von Gott gesandte Führer gekommen sei. Den Text der Ansprache ließ er in die Reichskanzlei schicken. In einem Rundschreiben an die neuapostolischen Amtsträger vom 25. April 1933 erklärte Bischoff, dass es bei Eintrittsgesuchen von Mitgliedern gut sein werde, „die Personalien solcher Personen der zuständigen Ortsgruppe der NSDAP zur Nachprüfung vorzulegen“ und ihre Aufnahme erst nach dem Vorliegen einer Unbedenklichkeitsbescheinigung der NSDAP zu vollziehen. Im Titel der kircheneigenen Zeitschrift „Wächterstimme aus Zion“ wurde Anfang 1934 das hebräische Wort „Zion“ gestrichen. In der kircheneigenen Zeitschrift wurden 1940 anlässlich eines Reiseberichts von Bischoff Sätze gedruckt wie:

„Schwarze und Juden steigen auf der sozialen Leiter immer höher, sie verdrängen mit ihrer billigen Arbeitskraft den besser bezahlten Weißen auch aus Stellungen, die dem Weißen allein zustehen sollten … Das farbige Element ist zum Angriff übergegangen … Mit Berechtigung haben wir alles das, was dem Volke im Kino, Theater und Literatur als das Produkt einer jüdisch-marxistischen Clique geboten wurde, abgelehnt.“

Und später im selben Jahr hieß es:

„Wohl hat sich der Weiße noch eine bestimmte Vorherrschaft erhalten können, sie ist aber stark ins Wanken geraten, und sie wird noch immer mehr ins Wanken kommen, je mehr der Jude Einfluss gewinnt, denn es ist sein Ziel, die Völker zu zersplittern, sie niederzuhalten und sie auszubeuten.“

1941 verkündete „Unsere Familie“:

„Deutschland wird kämpfen bis zum totalen Siege, das heißt, bis zur Befreiung Europas und der Welt von bolschewistischen Mördern, von der britischen Plutokratie und von Juden und Freimaurern.“

Stammapostel seit 1988: Richard Fehr

Stammapostel seit 1988: Richard Fehr

Neuapostolische Gottesdienste sollten mit dem Ruf „Heil Hitler“ beginnen

Jeder Gottesdienst sollte – laut Amtsauflage – in jener Zeit mit einem „Heil Hitler“ enden. Es haben sich nicht alle Gemeindevorsteher (gerade in ländlichen Gebieten) diesen kircheninternen Vorschriften gebeugt. Im Laufe der Zeit wurden immer wieder einzelne Gemeinden geschlossen. Nach Schilderung der Neuapostolischen Kirche sei es unter größten Schwierigkeiten gelungen, einen Teil der Verbote rückgängig zu machen.

Diese Haltung wurde unter anderem 1996 vom damaligen Stammapostel Fehr erläutert und 2003 vom Sprecher der Öffentlichkeitsarbeit Peter Johanning bei einem Vortrag weiter ausgeführt. Johanning gab einen Artikel aus dem „Jugendfreund“ vom Juli 1933 wieder, worin schon kurz nach der Machtergreifung Hitlers zur „Untertanentreue“ aufgerufen wurde.  „Man mag das heute als naiv empfinden, die Zeit damals brachte andere Schlussfolgerungen zu Tage.“ In jener Zeit seien die neuapostolischen Amtsträger in den „Richtlinien“ von 1933 zur politischen Enthaltung aufgerufen worden. „Dieses Bekenntnis zur unpolitischen Arbeit der Kirche“ habe „unmissverständlich“ signalisiert, „sich jeglicher politischer Stellungnahme zu enthalten, auch wenn die Realität hier und da anders ausgesehen“ habe. Im Weiteren gab der Pressesprecher dann die Ausführungen Stammapostel Richard Fehrs von 1996 zu diesem Thema wieder, wonach die Anpassung der Kirchenleitung zu dem Zweck geschehen sei, um „der Verkündigung des Evangeliums weiter nachkommen zu können.“ – Die Die Haltung der Neuapostolischen Kirche im Nationalsozialismus ist von der Kirchenleitung nie kritisch reflektiert, sondern stets geschönt worden.

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Quelle: Erster Rothenburger Teil: Homepage der Neuapostolischen Kirche (2013). – Zweiter allgemeiner Teil: Wolf Stegemann „Neuapostolische Kirche“ in „Holsterhausener Geschichten“, Band 8, hgg. vom Ökumenischen Geschichtskreis Holsterhausen an der Lippe, 2013. – Wikipedia, Online-Enzyklopädie.
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